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Ohne das Internet wäre ich ein anderer Mensch – Eine Liebeserklärung an das Netz

Normalerweise schreibe ich hier im Blog ja eher selten über meine Gefühle und noch seltener über meine Vergangenheit. Um euch zu verdeutlichen, wieso das Internet für mich so wichtig ist und besonders meine Jugend stark geprägt hat, muss ich mal ein wenig ausholen.

Die Vorgeschichte

Im zarten Alter von 11 oder 12 hatte ich endlich, nach etlichen Umzügen mit meiner Mutter, meine Heimat in den beschaulichen Dörfern Kobern-Gondorf und Dieblich gefunden. Die beiden Dörfer liegen sich beide, rechts und links der Mosel, gegenüber. Dort ging ich einige Jahre in die Grundschule und dann in die Oberschule. Ich hatte haufenweise gute Freunde und eine wirklich geile Zeit. Ich hatte gerade meine erste feste Freundin und war schwer verliebt. Rückblickend kann ich sagen: Eine bessere Zeit kann man als Jugendlicher beziehungsweise als Teenager wohl kaum gehabt haben. Meine Mutter hat mir während dieser Zeit viele Freiräume gegönnt und sich auch gut um mich gekümmert. Sie war selbständig und alleinerziehend und hat doch immer die für mich nötige Zeit aufgebracht. Demzufolge hatte ich auch ein gutes Verhältnis zu ihr.

Allerdings änderte sich diese schöne und heile Welt für mich ziemlich schlagartig. Ich dürfte 14 oder 15 gewesen sein, da hat meine Mutter einen Kerl kennengelernt. Der kam aus Berlin und tauchte immer am Wochenende bei uns auf. So weit so gut. Er war nett und wollte nicht Papa spielen. So weit so gut.

Meine Mutter machte dann also zwei Wochen Urlaub um Zeit mit ihm zu verbringen. Ich genoss derweil die Zeit, in der ich das Haus für mich alleine hatte. Die Mutter meines besten Freundes kochte für mich und hat auch sonst darauf geachtet, dass ich nicht verwahrlose oder im Drogensumpf versinke 😉 – Irgendwann kam sie zu mir und sagte: „Deine Mutter hat angerufen. Sie will, dass du eine Woche Urlaub bei deiner Schwester in Berlin machst“. Coole Sache, dachte ich mir, packte und wurde zum Zug gefahren.

Ich wohne seit ca. 4 oder 5 Tagen bei meiner Schwester in Berlin, da steht plötzlich ein Umzugswagen vor der Tür und meine Schwester eröffnet mir: „Du wohnst jetzt erst mal eine Weile hier Keule. Mama ist hier nach Berlin gezogen und sucht mit ihrem Freund gerade ein Haus, in dem ihr zusammen leben könnt“.

W T F! Was nun folgte, war die beschissenste Zeit meines Lebens. Zum einen habe ich fast ein Jahr kein Wort mit meiner Mutter geredet. Ich war bis oben hin voll mit Hass und Verachtung. Zum anderen hatte ich natürlich auch keine Freunde mehr. Eines kann ich euch sagen: Hat man als Jugendlicher keine Clique an seiner Schule, ist man schnell der Punchingball der andere Schüler. Mein Nachname tat mir auch keinen großen Gefallen. Viele mochten mich nicht, weil ich wegen meines Nachnamens (Israel) offensichtlich ein „Scheiß Jude“ war.

Dann kam die Rettung! Das Internet!

Mit der Schulklasse habe ich irgendwann mal einen Ausflug zum Internetcafé im Karstadt Sport hier am Zoo gemacht. An dieser Stelle mal vielen Dank an meine Lehrerin, die ganz schön Weitblick für die damalige Zeit hatte: „Das Internet solltet ihr euch mal ansehen, vielleicht bringt euch das ja später im Beruf ja mal was“.

Nach einer kurzen Einführung, wie der Netscape Browser (<3!) so funktioniert wurden wir auf das Internet losgelassen. Jeder von uns bekam eine Liste mit Websites in die Hand gedrückt. Unter anderem war dort unter „Chat“ auch die Seite BerlinOnline.de aufgeführt. Chatten hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Endlich mal mit Leuten kommunizieren, die einen nicht verachten! Yay! Ich habe ab diesem Tag viele Nachmittage im Karstadt Sport Internetcafé verbracht um zu chatten.

Nun kommt mein Opa ins Spiel. Der gute Mann war, was man wohl heute einen „Early Adopter“ nennen würde. Mein Opa hatte damals zwar schon BTX aber noch kein Internet. Bei meinem üblichen Sommerferien-Besuch bei meinen Großeltern habe ich meinem Opa also von dieser coolen, neuen Sache erzählt. Dem Internet und Chats. Wir sind noch am gleichen Tag zu Conrad losgezogen und haben ein 14,4k Modem gekauft. Ich weiß nicht mehr, was es gekostet hat, aber es war unendlich teuer! Dazu haben wir uns irgend eine PC-Zeitschrift besorgt, in der eine CD mit ein paar Stunden gratis surfen mittels Compuserve dabei war.

Da saßen mein Opa und ich nun. Im Internet! 1995! Beat this! 😉

Wie es mit großen Ferien so ist, sind diese leider viel zu schnell zu Ende. Wieder in Berlin angekommen wurde mir eröffnet, dass meine Mutter und ihr Typ nun endlich ein Haus in Zehlendorf gefunden haben und ich mir dort ein Zimmer aussuchen soll.

Kellerkind ohne Internet

Zur Auswahl standen zwei Räume. So oder so wäre das Elternschlafzimmer direkt daneben gewesen. Das ist so ziemlich genau der Alptraum eines jeden Teenagers, der erst kürzlich seine Liebe zur Techno-Musik und Hardcore entdeckt hat. Also habe ich gesagt, dass ich in den Keller ziehe. Da Mutter und Typ scheinbar froh waren, dass ich ohne großes Theater einziehe, wurde mir mein Wunsch gewährt.

Wie Jugendliche nun mal so sind, habe ich an meinen Einzug und die Versöhnung mit Mutter aber ein paar Bedingungen geknüpft:

  • Ein cooler aiwa Walkman musste her
  • Ich wollte einen PC
  • Ich wollte Internet

Da die beiden aber aufgrund der Einrichtung des Hauses mit Möbeln, Küche, Teppich etc. ziemlich abgebrannt waren, habe ich erst mal nur meinen Walkman bekommen. Da meine Schwester zeitgleich beschlossen hatte nach Mallorca zu ziehen, hatte ich keinerlei Druckmittel mehr, um die anderen Forderungen auch noch durchzusetzen. Also bin ich zähneknirschend umgezogen. Ich war nun also eines von den „Kellerkindern“ von denen man immer so viel hört 😉

Kellerkind mit Internet (aber nur nach 20 Uhr) –  Danke Opa!

Mein Zimmer damals

Als Retter in der Not erwies sich mein Opa. Dieser schenkte mir einen ULTRACOOLEN!!!! Gateway2000 Rechner. Ich glaube es war ein 486 DX4 mit 100MHz. Natürlich fand sich im Paket auch ein Modem mit einem Zettel drauf: „Jetzt können wir chatten“.

Die ganze Sache hatte nur einen Haken. Meine Mutter war auch weiterhin selbständig. Daher konnte ich zwischen 8 und 20 Uhr nicht ins Internet gehen. Vielleicht kurz zur Erklärung für diejenigen unter euch die mit DSL und ISDN aufgewachsen sind. Davor gab es nur analoge Telefonanschlüsse mit einer Leitung. Also entweder telefonieren oder surfen.

Wie auch immer. Punkt 20 Uhr bin ich jeden Abend nach oben gehechtet um den Stecker fürs Modem einzustecken und endlich in Internet zu können.

Echte Freunde im Internet gefunden – Back to Real Life

Vincent Connare,
CC by Baptiste Pons

Irgendjemand erzählte mir im Berlin Online Chat dann mal von Microsofts „Comic Chat„. Quasi ein grafischer IRC Client. Dort habe ich schnell einige Channels gefunden, in denen ich mich heimisch gefühlt habe.

Mein Leben spielte sich für die nächsten zwei Jahre fast ausschließlich im Internet ab. Ich bin natürlich weiterhin zur Schule gegangen, das war aber auch der einzige Kontakt zur realen Welt überhaupt. Auf den hätte ich aber damals auch gerne verzichtet 😉

Eines schönen Tages stürmte jedenfalls jemand in meinen damaligen Lieblingschat. Da er irgendwie rumnervte, habe ich ihn mehrmals rausgeworfen. Irgendwann und irgendwie sind wir dann aber doch noch ins Gespräch gekommen. Wir haben ein wenig über Musik geplaudert und haben dann festgestellt, dass wir beide aus Berlin kommen. Sogar aus demselben Bezirk! Jetzt kommt der Knaller: Wir wohnten keine zwei Kilometer voneinander entfernt.

Wir haben uns dann am nächsten Tag zum Musik hören und abhängen verabredet. Nach und nach wurden wir Freunde und ich wurde von seinem Freundeskreis ebenfalls gut aufgenommen.

Happy End

Die Geschichte hatte also dank dem Internet ein Happy End. Nachdem ich die Realschule endlich überlebt hatte, bin ich zu einem Gymnasium gewechselt. Dort habe ich dann auch zusätzlich neue Freunde gefunden und eine geile Zeit gehabt. Eigentlich sogar zu geil, denn das Abitur habe ich aufgrund exzessivem Party-Lebens ebenso wenig, wie ca. 3/4 meiner Klasse geschafft. Jedenfalls war nun alles wieder gut, da der Vormittag endlich keine Qual mehr war, es sei denn ich war verkatert. 🙂

Auch wenn es jetzt ein Real Life mit richtig realen Freunden gibt, habe ich auch weiterhin Spaß am Chatten. Ich treibe mich zwar heute nur noch selten im IRC rum, habe aber immer noch das ein oder andere Palaver via Skype oder ICQ am Laufen. Außerdem ist ja jetzt auch Twitter da .:)

Ich frage mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich während der schlimmen Zeit in der Schule, keine Zuflucht im Internet gefunden hätte…

So, das war es dann auch erst mal wieder mit Erzählungen aus meinem Leben. Es folgen Catcontent und der sonst so übliche Content.

29 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. David sagt:

    Sehr schöne Geschichte 🙂 (Also nicht immer schön aber in der Quintessenz schon)
    Sein ganzen Leben lang den gleichen Nick zu benutzen führt aber auch dazu, dass andere sehr leicht ein Profil von einem erstellen können.

    1. Gilly sagt:

      Nüja, du kannst ja gerne mal schauen, was dir das Internet so zu „Gilly“ ausspuckt. 🙂

      Und ja, natürlich hinterlässt man seine Spuren im Netz. Wenn man aber ein bisschen über das, was man da tut, nachdenkt, kann einem eigentlich niemand einen Strick draus drehen.

  2. Jeremy sagt:

    Hm. Schöne Geschichte, irgendwie.

    Aber man sollte differenzieren, zwischen dem Teenie, der jede Beziehungsstatusänderung in Echtzeit ins StasiVZ-Profil stellt, und Menschen, die auf ihren Blogs gerne Transparent und ehrlich wirken möchten. Ich mag es, wenn ich das Gefühl habe, da sitzt ein Mensch hinter dem Blog. Und kein Phantom mit kryptischem Nicknamen.

    Ich glaube sogar, dass es vielen unbewusst so geht. Am schlimmsten ist das natürlich, wenn auf der About Seite nur ein Platzhalter zu sehen ist. 😉

      1. Jeremy sagt:

        Ach, mach dir mal keinen Kopf deswegen. Du hast doch offensichtlich auch ohne Leser. Irgendwas machst du also richtig, bei den Inhalten. 🙂

      2. Hi Gilly, da kann ich dich trösten, mir geht es bei der Seite nicht besser, ich bin mir noch nicht mal sicher ob die jetzige Version von About-Seite wirklich gut ist.

  3. Ricarda sagt:

    Irgendwie kann ich einige Sachen auch toll auf mich übertragen. „Teh Intanetz saift mei leif“ Ohne das Netz hätte ich so einige Leute nicht kennengelernt die ich mittlerweile sehr ins <3 geschlossen habe.

  4. Sven sagt:

    Schöner Text.
    Da hat der mal in Kobern gewohnt, wie klein doch die Welt ist, komme aus Koblenz.

    Übrigens, so einen coolen Aiwa Walkman hatte ich auch, die waren aber auch geil.

  5. Dominik sagt:

    Echt bewegende Geschichte. Verstehst du dich mit deiner Mutter wieder?

    Diese Modem hatte ich auch. Und ich habe auch den Netscape Navigator genutzt. Aber ich bin mit AOL ins Netz.

    Dann mal weiterhin viel Spaß…und wir schreiben uns 😉

  6. Skinnynet sagt:

    Ein großer Teil der Geschichte kann man perfekt auf mich übertragen, allerdings hatte ich den ersten eigenen PC (256MB RAM und 500mHz) mit 9 oder 10 und den ersten richtigen Internetzugang erst mit 13, vorher hatten wir schon einen, aber dann ein paar Jahre wieder nicht, wurde als unnötig empfunden :O Das heißt, angefangen mit ISDN und jetzt bei DSL 16000 hängen geblieben 😛 Das ist schon ein Unterschied. Umgezogen bin ich auch etliche Male, die genaue Zahl verrate ich hier nicht 😉

  7. Marc sagt:

    Uff, das war lang! Aber klasse geschrieben 🙂
    An diese 56k Zeiten erinnere ich mich auch noch, das Telefonkabel durch die halbe Wohnung verlegt… und immer das gemecker, warum denn „ständig besetzt“ sei!

  8. Hofi sagt:

    Und wieder weiß das Internet mehr von dir 😉
    Wirklich eine herzergreifende Geschichte, aber mach dir nichts draus heute ist es an der Schule noch schlimmer als damals und es gibt viele die kein reallive mehr haben. Gilly sei nicht böse auf deine mama, es ist ihr leben und sie muss das tun um selber glücklich zu sein, auch wenn sie das mit dir vorher abklären hätte sollen.

  9. Nila sagt:

    Oha Gilly, hat uns das Thema Internet heute beide gefesselt?! 😉
    Dein Text ist einfach Hammer. Ich habe ihn ohne abzusetzen durchgelesen. Spannend. Kompliment.
    Lol, ich kann mich auch noch an diese 56k Leitung erinnern. Wollte man ins Netz, wurde der Telefonanschluss „gekappt“. Lol, ich war Abends immer sehr selten erreichbar per Telefon.

  10. SciFiKerl sagt:

    Sehr schöne Geschichte – vor allem kommt mir so Manches bekannt vor!
    Hatte oft genug Ärger mit meinen Eltern dank der Verbindungsabbrüche und der anologen Wiedereinwahl mit einem <= 56k Modem …

    Das Internet ist ein Moloch, anonym ist niemand wirklich. Auch wenn es Systeme gibt, die es nahezu (fast) möglich machen (Russensatelitenverbindungen über private Netzwerke usw) – aber spuorlos ist man niemals!

  11. Rainer sagt:

    Bitte mehr von dem Stoff… 😉

    Das Internet hat nicht nur dein Leben verändert, sondern unser aller, aber für dich hat es eine schöne Geschichte mit Happy End geschrieben.

    Wirst mir immer sympathischer… *grins*

  12. Andrea sagt:

    Toller Text! Danke dass Du uns daran teilhaben lässt!

    Aber deine 1995 kann ich tatsächlich schlagen, da war ich schon seit einem Jahr online. 😉

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